Was ist Achtsamkeit? Eine Anleitung zu mehr Präsenz und Gelassenheit

Kristina Stifter

29. Januar 2025

Was bedeutet Achtsamkeit? Stell dir vor, dein Leben wäre ein Film, und du würdest die meiste Zeit mit einem schnellen Vorlauf durch die Szenen rasen, ohne wirklich zu sehen, was passiert. Genau das tun viele von uns: Wir funktionieren im Autopilot-Modus, rennen von einer Aufgabe zur nächsten und merken kaum, wie die Zeit vergeht. Achtsamkeit hilft dir, den Film deines Lebens in Echtzeit zu erleben – präsent, wach und bewusst.

Vielleicht fragst du dich, warum das so wichtig ist. Studien zeigen, dass Achtsamkeit nicht nur Stress reduziert, sondern auch das Wohlbefinden steigert. Sie fördert Resilienz, verbessert deine Konzentration und stärkt die Fähigkeit, schwierige Emotionen zu regulieren. In einer Welt voller Ablenkungen kann Achtsamkeit wie ein Anker wirken, der dich in den Moment zurückholt.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit, im Englischen mindfulness, stammt ursprünglich aus dem Wort „sati“ in der altindischen Gelehrtensprache Pali bzw. in Sanskrit „smrti“, was so viel bedeutet wie „Erinnerung“, „Bewusstheit“ oder „Wachheit“. Es bezeichnet die Fähigkeit, sich des gegenwärtigen Moments vollständig bewusst zu sein, ohne ihn zu bewerten. Es geht um Klarheit, um Fokus, um Konzentration, um bewusste Aufmerksamkeit.

Eine moderne Definition liefert Jon Kabat-Zinn, der Begründer des Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR)-Programms:

„Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Moment und ohne zu urteilen.“

Im Deutschen könnte man mit „im Hier und Jetzt sein“ oder mit „achtsame Präsenz“ umschreiben.

Warum und wie funktioniert Achtsamkeit?

Warum solltest du Achtsamkeit üben? Die Antwort ist einfach: Weil es dir hilft, bewusster, entspannter und resilienter zu leben. Studien, wie die vom amerikanischen Hirnforscher Richard Davidson belegen, dass regelmäßige Achtsamkeitspraxis das Gehirn verändert. So wird etwa der präfrontale Kortex – der hinter unserer Stirn für Konzentration und emotionales Gleichgewicht zuständig ist – gestärkt. Gleichzeitig wird die Aktivität der Amygdala, die in der Mitte unserern Gehirns für Stress und Angst verantwortlich ist, reduziert.

Achtsamkeit ist kein esoterisches Konzept, sondern eine trainierbare Fähigkeit. Es bedeutet, deine Aufmerksamkeit auf den jetzigen Moment zu richten, ohne dich in Gedanken über die Vergangenheit oder die Zukunft zu verlieren.

Du kannst Achtsamkeit auf viele Arten praktizieren: durch Meditation, Atemübungen oder ganz einfache Alltagsroutinen. Es geht darum, präsent zu sein – egal, was du gerade tust.

Wenn du Achtsamkeit in deinen Alltag integrierst, dann wirst du bemerken, wie du Stress gelassener begegnen kannst. Beziehungen werden intensiver, weil du wirklich zuhörst. Und du wirst lernen, deine eigenen Bedürfnisse und Grenzen besser wahrzunehmen.

Kristina beim Yoga

Studien zur Wirkung von Achtsamkeit

Wissenschaftlich wurde Achtsamkeit in den letzten Jahrzehnten intensiv untersucht. Hier ein paar spannende Ergebnisse:

  • Stressreduktion: Eine Studie von Shapiro et al. (2007) zeigt, dass MBSR-Programme Stress signifikant senken können.
  • Besseres Gedächtnis: Die Forschung von Zeidan et al. (2010) belegt, dass Achtsamkeitsmeditation das Arbeitsgedächtnis stärkt.
  • Emotionale Resilienz: Laut einer Studie von Farb et al. (2007) fördert Achtsamkeit die Fähigkeit, sich von negativen Emotionen zu lösen.

Die Ebenen der Achtsamkeit

Achtsamkeit zeigt sich auf verschiedenen Ebenen, die alle miteinander verbunden sind und gemeinsam zu einem bewussteren Leben beitragen:

Achtsamkeit mit unserem Körper

Hier geht es darum, deinen Körper wahrzunehmen – seine Empfindungen, Bewegungen und Signale. Spüre zum Beispiel bewusst, wie deine Füße den Boden berühren, oder nimm wahr, wie dein Atem fließt. Dein Körper ist oft der erste Hinweisgeber, wenn du gestresst oder angespannt bist.

Hilfreiche Aspekte und passende Fragen dafür sind:

  • Bewegung: Braucht mein Körper gerade etwas mehr Bewegung oder eher etwas mehr Ruhe?
  • Ernährung: Was und wie esse ich?
  • Regeneration: Was tue ich dafür, dass mein Körper ausreichend Zeit für Erholung hat? Wie und wie lange schlafe ich?

Achtsamkeit mit unseren Gefühlen

Unsere Emotionen können subtil oder überwältigend sein. Achtsamkeit bedeutet, sie wahrzunehmen, ohne sie zu unterdrücken oder zu verstärken. Du erkennst: „Ich bin gerade traurig“ oder „Ich bin wütend“, ohne dich von diesen Gefühlen beherrschen zu lassen.

Hilfreiche Fragen dafür sind:

  • Wieviel Raum gebe ich meinen Gefühlen?
  • Dürfen alles Gefühle da sein? Welche lasse ich zu? Welche verdänge ich lieber?
  • Wie bewerte ich meine Gefühle? Teile ich diese noch als positiv und negativ ein oder kann ich sie vielmehr als angenehm oder unangenehm wahrnehmen und wertschätzen, dass sie mir alle Hinweise auf eigene Bedürfnisse geben?
  • Lebe ich alle Gefühle aus und gebe ihnen Raum? Auch große Gefühle wie Angst (als Hüterin meiner Sicherheit) oder Liebe (die für ausreichend soziale Bindung sorgt) oder Ärger (als Hinweisgeber auf eine Werteverletzung, auf ein Zielhindernis oder eine Ungerechtigkeit)?

Achtsamkeit mit unseren Gedanken

Gedanken kommen und gehen, oft unbewusst. Achtsamkeit hilft dir, sie wie Wolken am Himmel zu beobachten, ohne mich darin zu verstricken. Du bemerkst: „Das ist nur ein Gedanke, nicht die Realität.“ Ich kann selbst entscheiden, ob ich auf den Inhalt meiner Gedanken weiter eingehe oder ob ich den Gedanke einfach als Gedanke wahrnehme und mich nicht weiter davon beschäftigen lasse.

Hilfreiche Fragen dafür sind:

  • Bestimmen mich meine Gedanken? Oder bestimme ich meine Gedanken?
  • Will ich mich jetzt mit diesem Gedanken näher beschäftigen? Oder will ich gerade zur Ruhe kommen?
  • Was ist Realität: das was im Moment gerade da ist oder was meine Gedanken in meinem Kopf basierend auf meine bisherigen Erfahrungen konstruieren?
  • Was (er)füllt meinen Geist? Meine Gedanken oder ein (bewertungs)freies Sein?

Achtsamkeit mit unserem Verhalten

Hier geht es um dein Tun und deine Sprache.

Folgende Frage sind dafür hilfreich: Wie verhalte ich mich und welche Worte verwende ich? Wie spreche ich mit anderen und wie spreche ich mit mir? Gehe ich mit mir genauso wertschätzend oder verletzend um wie mit anderen? Achtsamkeit hilft dir, bewusster zu handeln, anstatt impulsiv zu reagieren. Zum Beispiel kannst du innehalten, bevor du in einer stressigen Situation etwas sagst, das du später bereuen würdest.

Diese vier Ebenen der Achtsamkeit sind wie ein Kompass, der dich dabei unterstützt, sowohl innerlich als auch äußerlich im Gleichgewicht zu bleiben. Indem du sie Schritt für Schritt kultivierst, kannst du dein Leben achtsamer gestalten – in deinem Körper, deinen Gefühlen, deinen Gedanken und deinem Handeln.

Ein ganzheitlicher Blick auf die Achtsamkeit

Achtsamkeit betrifft nicht nur deinen Körper, deine Gedanken, Gefühle und dein Verhalten, sondern auch, wie du mit deiner Umwelt, deinem Umfeld und dir selbst in Verbindung stehst. Hier einige weitere Perspektiven, die dir helfen, Achtsamkeit noch umfassender zu verstehen:

1. Achtsamkeit mit der Umwelt

Wie gehst du mit der Natur, den Ressourcen und der Welt um dich herum um? Achtsamkeit mit der Umwelt bedeutet, bewusst zu konsumieren, weniger zu verschwenden und die Schönheit der Natur wahrzunehmen. Du kannst achtsam sein, indem du beispielsweise den Klang von Vögeln hörst, das Rauschen der Bäume spürst oder darüber nachdenkst, wie du nachhaltiger leben kannst.

2. Achtsamkeit mit dem eigenen Umfeld / mit anderen Personen

Wie interagierst du mit den Menschen in deinem Leben? Achtsamkeit in Beziehungen bedeutet, wirklich zuzuhören, anstatt nur zu reagieren, und dich in andere hineinzuversetzen. Es geht darum, freundlich, respektvoll und präsent zu sein, egal ob in einem kurzen Gespräch oder bei tiefgründigen Begegnungen. Fragen wie „Wie geht es meinem Gegenüber wirklich?“ können dir dabei helfen.

3. Achtsamkeit mit dir selbst

Wie gehst du mit dir um? Oft sind wir mit anderen geduldiger und mitfühlender als mit uns selbst. Achtsamkeit mit dir selbst bedeutet, dich so zu behandeln, wie du einen guten Freund behandeln würdest – mit Verständnis, Akzeptanz und Selbstfürsorge. Du kannst achtsam mit dir selbst sein, indem du deine Grenzen respektierst, dir Pausen gönnst und auf die Signale deines Körpers und Geistes hörst.

Die Verbindung von allen Ebenen

Diese Perspektiven – Achtsamkeit mit dem Körper, den Gefühlen, den Gedanken, deinem Verhalten, deiner Umwelt, deinem Umfeld und dir selbst – sind nicht voneinander getrennt. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Wenn du zum Beispiel achtsamer mit dir selbst bist, wirkt sich das positiv auf deine Beziehungen aus. Wenn du bewusst mit der Umwelt umgehst, fühlst du dich oft stärker verbunden und ruhiger.

Wie wäre es, wenn du dir heute eine dieser Ebenen auswählst und sie für ein paar Minuten achtsam beobachtest? Du könntest dich fragen: „Wie achtsam bin ich gerade mit mir selbst? Mit anderen? Mit der Welt um mich herum?“ Schon diese kleinen Reflexionen können große Veränderungen bewirken.

3 einfache Übungen, wie du Achtsamkeit lernen kannst

Hier sind drei praktische Übungen, die du sofort im Alltag anwenden kannst:

Eine 1-Minuten-Meditation einlegen

Du hältst bewusst einmal inne, beruhigst deinen Atem und bist ganz bei dir und im aktuellen Moment. Du praktizierst eine achtsame Atmung. So fokussierst du dich auf dich und alles was da ist und kannst dann gezielt und konzentriert die Dinge weiterführen, die gerade wichtig ist.

5 Dinge um dich herum wahrnehmen

Wenn deine Gedanken ständig abschweifen oder du innerlich unruhig wirst, dann kannst du bewusst selbst wieder das Steuer in die Hand nehmen und deine Aufmerksamkeit auf deine Wahrnehmung lenken. Konzentriere dich auf fünf Dinge, die du im Raum oder um dich herum gerade siehst. Nimm diese bewusst wahr. Und wenn du diese Dinge auch wirklich benennst (das musst du nicht laut aussprechen, sondern das kannst du einfach innerlich tun) dann gewinnst du sofort wieder ein Gefühl von mehr Kontrolle und Sicherheit.

Und wenn du z. B. auf einem Spaziergang mehr Zeit dafür hast, kannst du auch deine anderen Sinne einsetzen und fünf Dinge nicht nur sehen, sondern auch hören, riechen, schmecken oder fühlen. Durch das Fokussieren unserer Aufmerksamkeit berühigt sich der ganze Körper und unser ganzes System. Probiere es doch einfach mal aus.

Body-Scan (Gedankliche Körperreise) durchführen

Wandere mit deiner Aufmerksamkeit langsam von unten nach oben durch den ganzen Körper und entspanne der Reihe nach deine einzelnen Körperregionen. Verbinde dich bewusst mit der Stabilität der Erde und gebe Anspannung in dir und deinem Körper mit jedem Ausatmen an die Erde ab. Das funktioniert wunderbar im Sitzen – auch mitten in unserem Arbeitsalltag – da können wir rasch checken, welche Signale mein Körper mir zurückmeldet. Und mit der Frage: was brauch ich jetzt? können aktuelle Bedürfnisse z. B. Hunger, Durst, Bewegung können erkannt und gestillt werden.

Auch vor dem Schlafen gehen hat sich diese Methode der Körperreise bewährt, um sich und den Körper Schritt für Schritt zu entspannen. So kann das Einschlafen auf einfache Weise erleichtert und unterstützt werden.

Für Fortgeschrittene: Achtsame Atemmeditation

Anapanasati Sutta heißt die Methode der achtsamen Atemmeditation des großen Lehrmeisters Siddhartha Gautama (Buddha). Sie gilt als als zentrale buddhistische Praxis, in der tiefes Gewahrsein kultiviert wird. Der Atem wird dabei als Anker benutzt, um das Bewusstsein zu klären und dank der entstehenden Achtsamkeit auf verschiedenen Ebenen in ein feines Verständnis des Seins zu finden. 

Atmen ist eine wunderbare Stütze für das Gewahrsein, weil es ein von selbst ablaufender Prozess ist, der unser Empfinden spiegelt und in dem Körper und Geist miteinander verbunden sind. Wir nehmen also etwas völlig Vertrautes als Übungsgrundlage. Es empfiehlt sich, diese Methode unter Anleitung einer erfahrenen Meditationslehrer:in zu üben.

Fazit: Dein Weg zu mehr Achtsamkeit

Achtsamkeit ist keine Zauberformel, aber ein mächtiges Werkzeug, um dein Leben bewusster zu gestalten. Beginne mit kleinen Übungen und sei geduldig mit dir selbst. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern darum, präsent zu sein.

Wie wäre es, wenn du heute eine der Übungen ausprobierst? Du hast nichts zu verlieren – außer vielleicht ein bisschen Stress.

Weitere Informationen:

Selbstwahrnehmung üben

Auszeit nehmen: Warum Pausen unverzichtbar für deine Resilienz sind

Die unschätzbaren Vorteile von Resilienz und Achtsamkeit im Geschäftsalltag

Mehr Details zu Anapanasati Sutta bei Wikipedia

Über die Autorin

Kristina Stifter

Kristina Stifter ist zertifizierte Resilienztrainerin, ganzheitlicher Coach, Meditationslehrerin und Anusara Inspired Yoga Teacher. Sie verfügt auch über eine langjährige Erfahrung als Betriebswirtin mit Schwerpunkt Marketing/Unternehmenskommunikation im Top Management in der IT-Branche. Sie hat 2022 die Sinnstifterei als lebendige Werkstatt für Resilienz und Achtsamkeit gegründet. Ihr Ziel ist es, die mentale Gesundheit von Menschen nachhaltig zu stärken.

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